Silvester:Darf ich meinen Hund bei Angst trösten?

Die kurze Antwort: Ja!

Der Jahreswechsel naht in riesigen Schritten und verursacht bei uns Hundebesitzern meist ein mulmiges Bauchgefühl. Mit Beginn der Adventzeit – so stimmungsvoll und schön sie auch ist – erinnern wir uns mit Schrecken an letztes Silvester und unsere Vorsätze, bis zum nächsten Silvester an der Geräuschangst unseres Hundes zu arbeiten. Aber dann kam der Alltag, die Arbeit etc. und schwupps, stehen wir schon wieder im Dezember und müssen uns eine Notlösung einfallen lassen für den letzten Tag des Jahres.

Wie sieht es denn nun aus? Darf ich meinen Hund trösten, wenn er Angst hat? Verstärke ich durch Streicheln und Zureden seine Angst? Belohne ich die Angst, wenn ich ihm Futter oder Leckerli anbiete, während er Angstverhalten zeigt?

Die Annahme, dass Angst beim Hund durch Zuwendung verstärkt wird, hält sich leider hartnäckig – und ist falsch! Das wurde auch bereits wissenschaftlich erwiesen. Angst wird NICHT mehr, wenn wir unseren Hund unterstützen, ihn beschäftigen oder füttern.

Angst zieht Kreise

…  und ist eng mit der Stressreaktion verbunden

Die Angst vor plötzlichen und sehr lauten Geräuschen ist angeboren – und zwar bei jedem Hund. Da man die Silvesterknallerei nicht vorhersehen kann, wird sie für unsere Hunde unberechenbar. Und das lässt sie schnell in einen Kontrollverlust rutschen – uns Menschen übrigens auch.

Allerdings reagieren Hunde unterschiedlich stark auf die Knallerei. Es kann beispielsweise sein, dass dein Hund die ersten zwei oder drei Silvester gar kein Angstverhalten gezeigt hat und nun plötzlich reagiert. Es kann auch sein, dass du im vergangenen Jahr bemerkt hast, dass dein Hund plötzlich auf Gewitter reagiert, obwohl er das vorher nie gezeigt hat.

Ängste entwickeln sich schleichend im Inneren des Hundes und sind für uns Menschen zu Beginn nicht wahrnehmbar. Nur weil der Hund keine Reaktion auf einen Knall zeigt, bedeutet das nicht, dass nicht im Inneren etwas am Brodeln ist. Angst ist kein schönes Gefühl, weder für Hunde noch für Menschen. Man ist einer Situation ausgesetzt, die man nicht beeinflussen kann und fühlt sich hilflos und manchmal auch handlungsunfähig.

 

      • Junghunde sind durch die hormonelle Umbauphase im Gehirn während der Jugendentwicklung sowieso einem höheren Stresshormonspiegel ausgesetzt und entwickeln daher schneller eine Geräuschangst. Denn Stress und Angst sind eng miteinander verbunden.
      • Ebenso gefährdet sind Hundesenioren, da hier die Sinnesreize schön langsam nachlassen und der Hund den Reiz u.U. nicht mehr so gut einordnen und verarbeiten kann.
      • Aber auch Tierschutzhunde, die erst kurz vor Silvester in ihr Neues zu Hause gezogen sind und noch in der Eingewöhnung sind, reagieren an Silvester oft panisch (Verwende unbedingt eine doppelte Sicherung und ein Sicherheitsgeschirr!).
      • Hunde, die bereits an einer Geräuschangst leiden, sind zu Silvester besonders betroffen. Auch kann es sein, dass sich die bestehende Angst nach Silvester auch auf andere Geräusche oder Situationen ausweitet. Für sehr betroffene Hunde ist medikamentöse Unterstützung ratsam (Achtung! Verwende auf keinen Fall Beruhigungsmittel mit dem Wirkstoff Acepromazin: Diese Mittel entspannen nur die Muskeln, wirken aber nicht angstlösend. Dein Hund bekommt die Knallerei mit, kann aber nicht mehr reagieren!)
Daniela Loibl, Zert. Hundetrainer

Social Support: Sei für deinen Hund da!

Alles andere ist unfair – auch wenn Instagram, TikTok & Co was anderes meinen

Man kann es nicht oft genug sagen, da sich (auch) bei diesem Thema sehr viele Falschinformationen im Netz tummeln, die teils schon sehr veraltet sind: Lass deinen Hund in seiner Angst nicht alleine! Biete ihm die Unterstützung, die für ihn angenehm ist. Bedränge ihn nicht, aber sei für ihn da.

Wenn dein Hund beim ersten Knall erschrocken bei dir Schutz sucht, musst du ihm diesen gewähren – immerhin bist du sein engster Vertrauter, seine Sicherheitsperson. Und schon sehe ich die Fragezeichen in deinem Kopf angehen: “Aber verstärke ich dadurch nicht seine Angst?”

Angst lässt sich durch etwas Angenehmes NICHT verstärken. Das heißt, die Angst deines Hundes wird NICHT mehr, wenn du ihm Aufmerksamkeit schenkst, ihn tröstest oder in der Situation unterstützt. Vorausgesetzt dein Hund empfindet das als angenehm. Für manche Hunde ist es ausreichend, wenn der Sozialpartner in der Nähe ist. Dein Kind weint ja auch nicht mehr, wenn du es unterstützend in den Arm nimmst, oder?

Darum kann man Angst nicht verstärken – und das sage nicht ich, sondern die Biologie:

  • Negative Emotionen, wie Angst, können nicht verstärkt werden, indem man etwas Positives hinzufügt.
  • Nur Verhalten lässt sich durch Hinzufügen von etwas Positivem verstärken (Angst ist kein Verhalten).
  • Angst ist nicht willentlich steuerbar.
  • Negative Emotionen werden durch angenehme Faktoren abgeschwächt (Körperkontakt, ruhige Ansprache, Futter, Schnüffelspiele, etc.).

Du kennst deinen Hund am besten und weißt, worauf er mit Entspannung reagiert. Das können beruhigende Worte, Berührungen oder auch gemeinsames Kuscheln sein. Achte genau auf die Körpersprache deines Hundes und beobachte, was für ihn angenehm ist oder aber auch unangenehm. Bedränge ihn nicht, aber unterstütze ihn. Aus Studien wissen wir, dass der Blick- und Körperkontakt zur Bezugsperson die Ausschüttung des Kuschelhormons Oxytocin fördert – und dieses wiederum ist der Gegenspieler zum Stresshormon Cortisol. Einfach gesagt: Kuscheln senkt das Stresslevel deines Hundes.

Merke: Alles, was deinem Hund hilft und wodurch er sich besser fühlt, ist erlaubt.

Aber aufgepasst: Es kann möglich sein, dass dein Hund in dieser speziellen Angstsituation Dinge nicht so gerne mag wie in eurem Alltag. Du solltest deinen Hund also nicht zwangskuscheln, wenn er das am Silvestertag nicht als hilfreich empfindet. Sei hier achtsam, damit du deinem Hund wirklich eine Unterstützung bist und kein zusätzlicher Stressor.

Last Minute Tipps für Silvester für alle Hunde

  • Lass deinen Hund auf keinen Fall an diesem Tag alleine zu Hause.
  • Letztes Gassi bevor die schlimmste Knallerei losgeht.
  • Vorhänge zu oder Rollos herunter, um die Lichtreflexe zu verdecken.
  • Radio oder Fernseher lauter aufdrehen als sonst.
  • Nutze Sound Masking, um die Knaller für das Hundeohr weniger wahrnehmbar zu machen.
  • Suche den ruhigsten Raum im Haus auf oder den Raum ohne Fenster (zB Bad).
  • Biete viele Beschäftigungs- und Schnüffelspiele an (Schnüffelteppich, Schnüffelkiste, Futterball, etc.). Hier kannst du dir einfache Ideen holen.
  • Biete Schleckmatten, Kong, Toppl etc an. – wer schnüffelt oder schleckt, kann keine Angst haben.
  • Verknüpfe jeden Knall mit positiven Gefühlen: 1 Knaller = 1 Keks (oder 10). Auch bei Hunden, die nicht sichtbar auf Knaller reagieren (Du weißt, vorbeugen ist besser als heilen).
  • Sichere deinen Hund beim Gassi gehen, am besten schon in den Tagen davor – und auch noch danach. Für Hunde, die sich möglicherweise aus dem Geschirr winden, bitte ein Sicherheitsgeschirr verwenden.
  • Hast du einen GPS-Tracker, stelle sicher, dass er an Silvester vollständig aufgeladen ist.
  • Sei für deinen Hund da, unterstütze ihn, lasse Körperkontakt zu.

Dein Vorsatz für nächstes Silvester

Angst ist eine Emotion. Und Emotionen lassen sich verändern!

Wenn du die Silvesterangst deines Hundes lindern oder sie erst gar nicht aufkommen lassen möchtest, solltest du mit dem Training bereits im Sommer beginnen. Je kleinschrittiger das Training aufgebaut wird, desto leichter fällt es deinem Hund an Silvester. 100%ige Garantie gibt es nie, aber sowohl du als auch dein Hund habt dann Strategien für den letzten Tag des Jahres an der Hand.

Übrigens: Geräuschtraining ist nicht nur sinnvoll für die Silvesterknallerei. Auch ängstliche oder schreckhafte Hunde profitieren im Alltag von so einem Training, zB bei Gewitter. Gerne unterstütze ich dich dabei.

Weiterführende Links:

Daniela Loibl MBA MSc

Daniela Loibl MBA MSc

  • Hunde-Verhaltensberaterin
  • verhaltensmedizinische Tierpsychologin
  • zertifizierte Hunde-Ernährungsberaterin
  • ehrenamtliche Hundetrainerin im Tierheim
  • Buchautorin “Fred & Otto, Wanderführer für Hunde”

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